
Elena Tanaeva lebt in Dresden und fühlt sich dort als Jüdin. Ihre Familie war zwar nicht streng religiös, führte jedoch wesentliche jüdische Traditionen fort, wie das Verbot von Schweinefleisch und die Trennung von Milch und Fleisch. Tanaeva ist in der Jüdischen Gemeinde aktiv und beschreibt ihr Gefühl der Sicherheit in Deutschland als bemerkenswert, da sie in St. Petersburg, Russland, einen latenten Antisemitismus erlebte. In Dresden spürt sie eine andere Atmosphäre und ist Teil der russischen Community, die regelmäßig im Gemeindehaus der Neuen Synagoge zusammenkommt. Dieses Gotteshaus, welches am 9. November vor 20 Jahren eingeweiht wurde, ist der erste Neubau eines jüdischen Gotteshauses seit der politischen Wende in Deutschland.
Die Jüdische Gemeinde in Dresden hatte vor 1933 bis zu 5.000 Mitglieder, aber die Zahl der Juden in der Stadt verringerte sich rapide nach dem Zweiten Weltkrieg – 1945 lebten dort weniger als 50 Juden. Heute zählt die Gemeinde in Dresden 730 Mitglieder, wobei die Mehrheit der Juden aus der ehemaligen Sowjetunion stammt. Diese Migrationsbewegung ist ein Echo der komplexen Geschichte jüdischen Lebens in Russland, die von einer Vielzahl von Herausforderungen und Diskriminierungen geprägt ist. Die Geschichte der Juden in Russland reicht bis in die Kiewer Rus zurück und umfasst Jahrhunderte von Verfolgungen und Fluchtbewegungen.
Die Neue Synagoge und ihre Geschichte
Ursula Philipp-Drescher, die den Synagogenchor leitet, vermittels den Besuchern die bewegte Geschichte der alten Semperschen Synagoge, die 1938 von der SA in Brand gesetzt wurde. Ein Feuerwehrmann rettete damals den Davidstern und versteckte ihn auf dem Dachboden, was als symbolischer Akt des Überlebens gilt. Diese Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart ist fundamental für die Identität der jüdischen Gemeinde in Dresden.
In diesem Kontext ist auch Valentina Marcenaro von Bedeutung. Sie kam 1998 aus Italien nach Dresden, um ihre Deutschkenntnisse zu verbessern, und hat mittlerweile eine Familie gegründet. Marcenaro organisiert regelmäßige jüdische Feste und beschreibt den Schabbat als ihr Lieblingsfest, das sie jeden Freitag feiert. Sie bezeichnet sich als Kulturjüdin und hebt die Freiheit hervor, im Judentum nach eigenen Vorstellungen zu leben.
Jüdisches Leben in Russland und seine Auswirkungen
Die Geschichte der Juden in Russland hat verschiedene Facetten. Sie reicht von der gemeinsamen Kultur in Kiew, über das Zarenreich bis hin zur Sowjetunion. Besonders im 19. Jahrhundert erlebten die Juden eine Zeit des Leidens, als unter Zar Iwan IV. und später unter Nikolaus II. antisemitische Maßnahmen ergriffen wurden. Diese Verfolgungen führten dazu, dass zwischen 1881 und 1914 etwa zwei Millionen Juden aus Russland auswanderten, darunter viele in die USA.
Nach der Gründung der Sowjetunion bemühte sich die Regierung zunächst um die Integration der Juden, doch die Kultur ihrer Gemeinschaft litt erheblich. Die religiösen und kulturellen Institutionen der Juden wurden im Laufe der Jahre zunehmend geschwächt. Nach dem Zerfall der Sowjetunion emigrierten viele Juden nach Israel, während sich die jüdische Bevölkerung in Russland weiter verringerte. Die jüngsten Entwicklungen, insbesondere die Auswanderungswelle von 2022 infolge des Überfalls auf die Ukraine und des wachsenden Antisemitismus, haben die Situation weiter verschärft.
Insgesamt zeigt sich, wie die jüdischen Gemeinschaften in Dresden und in Russland eng miteinander verwoben sind und wie ihre Geschichten von Tradition, Überlebenswillen und Identität geprägt sind. Elena Tanaeva und ihre Mitstreiter in Dresden sind lebendige Zeugen dieser komplexen Geschichte, die sowohl Herausforderungen als auch Hoffnung in sich birgt.